Im Kreuzberger Himmel

von Berthold Engelke

Anfang September saß ich in einem Tagungshaus in Freiburg  (zu einem Arbeitstreffen der Fachverbände Traumapädagogik und Deutsche Gesellschaft für Psychotraumatologie) beim Frühstück und habe in der Badischen Zeitung ein Artikel über das Berliner Restaurantprojekt „Kreuzberger Himmel“ gelesen. Welch wunderbare Geschichte.


… in einem Berliner Restaurantprojekt bieten Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak und Syrien arabische Küche an– für viele ist es ein Schritt zurück in ein selbstbestimmtes Leben.

In einem Kreuzberger Restaurant kochen Flüchtlinge Gerichte aus der arabischen Küche

Inge Günther

Von Inge Günther

Fr, 07. September 2018 um 14:11 Uhr; Badische Zeitung „Die dritte Seite“

http://www.badische-zeitung.de/in-einem-kreuzberger-restaurant-kochen-fluechtlinge-gerichte-aus-der-arabischen-kueche

 Mit Hingabe knetet Layali den Teig für die Kubbeh, die arabischen Klößchen aus Bulgur gefüllt mit Lammhack. Vor zwei Wochen hat die Irakerin als Hilfsköchin im „Kreuzberger Himmel“ angeheuert, es ist das erste Mal, dass sie einen Job hat, seitdem sie mit ihrer Familie nach Deutschland floh. Layali ist „einfach nur glücklich“, endlich wieder in ihrem Element zu sein. Mitten im Küchendampf und unter Kollegen, um das tun zu können, was sie schon früher in Bagdad getan hat, als Layali von zu Hause aus mit ihrem Mann einen Catering-Service betrieb.

Den meisten Geflüchteten aus dem elfköpfigen Team dieses Berliner Restaurantprojekts geht es ähnlich. Nach Jahren des Wartens in Flüchtlingsunterkünften, wo ihnen zwischen Deutschkursen und Behördengängen nicht viel blieb, als die Zeit totzuschlagen, sind sie froh, eine neue Aufgabe im „Kreuzberger Himmel“ gefunden zu haben. Etwas, das den Selbstwert stärkt. Etwas, womit sich Geld verdienen lässt, in bescheidenem Maße. Auch wenn nicht immer alles glatt läuft in dieser multikulturellen Zusammenarbeit zwischen Menschen aus Afghanistan, Irak und Syrien, die durch die Bank harte Flüchtlingsschicksale durchgestanden haben. Ihnen bietet der „Kreuzberger Himmel“ die Startchance in ein selbstständiges Leben in Deutschland – und den Gästen syrisch-arabische Küche vom Feinsten. „Sonst kriegen wir doch nur noch mit, dass alles rund um das Thema Flüchtlinge furchtbar ist“, sagt Andreas Toelke, Vorsitzender der Hilfsorganisation „Be an Angel“, die zu Jahresbeginn das Restaurant an der Yorckstraße aufgemacht hat. „Aber die Wirklichkeit ist einfach anders. Wir – und das sind Muslime, Christen, Hindus und Juden – leben Integration vor.“

Das Konzept scheint aufzugehen. An die 8000 Gäste wurden inzwischen bewirtet. „Zwei Drittel“, schätzt Toelke, „kommen erst mal aus Interesse oder Solidarität und zum zweiten Mal, weil es hier gutes Essen gibt.“ Kein leichtes Unternehmen, täglich Köstlichkeiten von Spitzenqualität anzubieten. Jeder Flüchtling braucht Zeit und Hilfe bei der Einarbeitung. „Manche haben Folter und Gefängnis hinter sich“, berichtet Toelke, ein umtriebiger Berliner mit kurzgeschorenem Grauschopf, Schnauze und Herz. Schon das Zugehen auf die Gäste hat einige viel Überwindung gekostet. Manch neuer Kellner habe zu Beginn dazu geneigt, die Bestellung „aus drei Meter Entfernung vom Tisch“ aufzunehmen. Auch Tränenausbrüche hat es schon gegeben. Arbeitsbewilligungen müssen beschafft, Eingliederungshilfen vom Jobcenter beantragt und dazu die Anerkennung des gelernten Chefkochs aus Damaskus vor der Industrie- und Handelskammer durchgebracht werden, um wie geplant von September an Lehrlinge auszubilden. „Phantastisch kochen reicht nicht, er muss ja auch die schriftliche Prüfung bestehen“, merkt Toelke trocken an. Aber dafür hapert es noch zu sehr mit dem Deutsch.

Um all das kümmert sich der Trägerverein „Be an Angel“, der im Bezirksamt gegenüber ein Büro bezogen hat. Viel ehrenamtliches Engagement und Privatspenden machen möglich, was sonst auf dem Behördenweg nur stockend vorankommt. So hat ein ungenannt bleiben wollender Mäzen aus Berlin das Startkapital von 80 000 Euro für das Restaurantprojekt bereitgestellt. Namhafte Designer gestalteten teils für umsonst das anspruchsvolle Ambiente. Der Einsatz hat sich gelohnt. Für Janshid, den afghanischen Kellner, hat im „Kreuzberger Himmel“ ein neues Leben angefangen. Zuvor war der 27-Jährige in einem Aufnahmeheim in Cottbus, wo er sich wegen der ständigen rechtsradikalen Pöbeleien kaum aus dem Haus traute, bis sich die „Be An Angel“-Anwältin einschaltete und ihm zur Umzugserlaubnis verhalf. „Hier“, sagt Janshid, „habe ich wieder eine Zukunft.“

Auch sein Kollege, der gleichaltrige Rami aus Syrien, ist hochmotiviert. „Alles ist besser, als rumsitzen und nichts tun“, sagt er. Nach sechs Monaten Praktikum im „Kreuzberger Himmel“ will er eine Konditorlehre beginnen. Nicht nur die Weitervermittlung in das Hotel- oder Gaststättengewerbe gehört bei „Be an Angel“ mit zum Programm. Wen es eher in die IT-Branche zieht, profitiert ebenso von dem Netzwerk an mannigfaltigen Kontakten, den Toelkes Organisation geknüpft hat. Umgekehrt wird von den Geflüchteten aktives Mitwirken verlangt.

„Wer bei uns war, hat viel bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt“, bestätigt Maria Bauer. Sie kommt aus der Gastronomie und engagiert sich seit langem in der Flüchtlingshilfe – die Idealbesetzung, um die Restaurantchefin im „Kreuzberger Himmel“ zu spielen. Das bringt eine Menge Fluktuation mit sich. „Ich habe vier Kinder großgezogen, aber manchmal fühle ich mich hier, als hätte ich zehn dazubekommen“, gesteht Maria Bauer. Der „Kreuzberger Himmel“ ist eben auch Ersatzfamilie, in der immer einer etwas übersetzt haben muss, ein anderer mit seinem Handy-Vertrag nicht klarkommt und ein Dritter völlig neben sich steht, weil er vielleicht gerade schlechte Nachrichten von Angehörigen aus seiner alten Heimat gehört hat. Aber die Flüchtlingsintegration – im Kreuzberger Himmel funktioniert sie.