Handlung als Haltung
Berthold Engelke
Neulich erhielt ich über eine Kollegin von „savethechildren“ einen Hinweis auf Mely Kiyak und ihren Vortrag beim Symposium „Flüchtlingsschutz in Europa – Auslaufmodell oder Neuanfang?“. Es war nur ein Ausschnitt der Rede, welche mir die Kollegin zugesandt hat, doch passender konnte dieser nicht sein für den Blick auf all die Helferinnen und Helfer.
„Die unsichtbaren Helfer leben entlang den nationalen Grenzen innerhalb Europas, überall dort, wo Geflohene unter Ausschluss der Öffentlichkeit von Polizisten, Militär, Sicherheitskräften oder Bevölkerung drangsaliert, misshandelt und erniedrigt werden, ohne dass dafür je ein Minister zurücktreten oder sich rechtfertigen musste, die Helfer dort trösten und verarzten, bloggen und veröffentlichen diese Fälle von dutzendfachen Menschenrechtsverletzungen. Die unsichtbaren Helfer leben in Sizilien, wo sie die Leichen aus dem Mittelmeer ziehen, damit sie anonym zwar aber immerhin wenigstens beerdigt werden können. Die unsichtbaren Helfer leben überall in Deutschland und helfen, wie und wo sie können und der Mehrheit von ihnen würde es im Leben nicht einfallen, einen Text in der Zeitung zu veröffentlichen, indem sie von der Mühsal der Bemühungen erzählen, weil sich auch das nämlich nicht gehört, das Wichtig nehmen einiger weniger, denen es immens wichtig ist, dass sie als Helfer wahrgenommen und gebührend gefeiert werden. In den meisten Kulturen der Welt findet Hilfe deshalb leise statt, weil man den Hilfsbedürftigen nämlich kein zweites Mal demütigen möchte, indem man die eigene Hilfsbereitschaft ausstellt und die Bedürftigkeit des Armen nämlich immer gleich mit dazu.“
Aber auch der Gesamtvortrag verdient der Aufmerksamkeit und Würdigung und bedarf keiner weiteren Kommentierung.
Portrait Mely Kiyak © Ute Langkafel
Mely Kiyak, Autorin und Zeit Online Kolumnistin, Berlin beim Flüchtlingsschutzsymposium „Flüchtlingsschutz in Europa – Auslaufmodell oder Neuanfang?“, 25. bis 26. Juni 2018, Französische Friedrichstadtkirche
„Handlung als Haltung“
Veröffentlicht auf der Homepage der Evangelischen Akademie zu Berlin www.eaberlin.de
http://www.eaberlin.de/nachlese/chronologisch-nach-jahren/2018/vortrag-mely-kiyak/
„Vieles von dem, was in unserem Land stattfindet, ist mit Sorgen und Angst nicht zu erklären. Es tut mir leid, das sagen zu müssen: Was hier stattfindet, ist vulgärste Xenophobie“, sagte Mely Kiyak. Beim 18. Berliner Symposium für Flüchtlingsschutz an 26. Juni sprach die Autorin und Kolumnistin über „Handlung als Haltung – warum es sich lohnt weiterzumachen“.
Die Geflohenen tauchten in der gesellschaftlichen Diskussion nur in Kategorien von Gefährdern auf, konstatierte Mely Kiyak. „Sie gefährden angeblich die Sozialsysteme, die innere Sicherheit, die Kultur, die Freiheit. Aber das stimmt nicht, und das wissen Sie. Unsere Mitbürger, die rechtsextremen Deutschen und unsere reaktionären, nationalistischen Politiker gefährden unsere innere Sicherheit, unsere Kultur und unsere Freiheit.“
Die Autorin lenkte den Blick auf Schicksale von Geflohenen: Loslassen und weglaufen scheine aus der friedlichen Ferne nichts Großes zu sein. In ihren Augen ist es – abgesehen von dem Verlust eines Angehörigen – dagegen „die schwierigste und existenziellste Erfahrung, die ein Mensch machen kann“. Es gebe keine größere Katastrophe, als das Dach über dem Kopf zu verlieren und gehen zu müssen. Die Geflüchteten wirkten gedemütigt und verloren, „denn sie haben etwas verloren, das sie ein Leben lang betrauern werden: Heimat.“
Im Blick auf die Erschöpfung und Resignation derjenigen, die sich seit Jahren für Geflüchtete einsetzen, formulierte die Autorin ihre Bewunderung. „Sie handeln, egal, ob sie lächerlich gemacht werden, egal, ob man über sie spottet, egal, ob man sie beschimpft oder egal, ob man sie politisch bekämpft: Sie handeln und dieses Handeln ist eine erhabene und stolze Haltung, dem Menschen und dem Leben in Respekt und Demut zugewandt.“
Die gesamte Rede von Mely Kiyak lesen Sie hier (PDF-Dokument, 122 KB).